Kirschblüten und rote Bohnen von Naomi Kawase: Was drei Generationen verbindet (2025)

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Zur Person
Kirschblüten und rote Bohnen von Naomi Kawase: Was drei Generationen verbindet (1)

Naomi Kawase, Jahrgang 1969, ist eine Ausnahmeerscheinung in der Filmbranche: Die Japanerin gehört zu den wenigen Frauen, die Dauergast bei internationalen Filmfestivals sind. Kawase war bislang sechs Mal nach Cannes eingeladen, wo sie sowohl die Goldene Kamera für den besten Debütfilm als auch den großen Preis der Jury gewonnen hat. 2014 war ihr opulentes Drama "Still the Water" über den Kreislauf des Lebens zu sehen. Nun ist mit "Kirschblüten und rote Bohnen" ein liebevolles Kammerspiel über drei Außenseiter in der japanischen Gesellschaft in Deutschland gestartet.

SPIEGEL ONLINE: Frau Kawase, Sie sind für Ihre eindrücklichen Naturdarstellungen berühmt, zuletzt haben Sie auf der subtropischen Insel Amami-Oshima gedreht. Ihr neuester Film spielt nun zum ersten Mal in Tokio, außerdem haben Sie zum ersten Mal kein eigenes Drehbuch verfilmt. Warum der Wechsel?

Kawase: "Kirschblüten und rote Bohnen", die Buchvorlage von Durian Sukegawa, hat mich überzeugt, weil es eine sehr runde Geschichte war, die sich gut an dem einen kleinen Ort, einem Pfannkuchen-Stand in der Tokioter Innenstadt, erzählen ließ. Der Großteil meiner Crew lebt außerdem in Tokio. Für diesen Film musste ich sie also nicht an die Küste oder in die Berge holen, sondern konnte direkt vor Ort mit ihnen drehen. Das hat der Arbeit im Team sehr gut getan.

SPIEGEL ONLINE: "Still the Water" war ein Film der großen Themen und großen Bilder, es ging um Leben und Tod und die Macht des Ozeans. Wie haben Sie sich danach der Geschichte von Pfannkuchenbäcker Sentaro und der alten Dame Tokue, die zusammen in einer winzigen Küche Pfannkuchen mit roter Bohnenpaste herstellen, genähert?

Kawase: Natürlich ist das eine kleine Geschichte über sogenannte kleine Leute. Und in den kleinen Pfannkuchenstand, in dem die beiden arbeiten, würde normalerweise auch kaum Licht fallen. Aber genau diese Beschränkung hat mich gereizt, weil sie es mir ermöglicht hat, tiefer in die Charaktere einzutauchen und ihre Beziehung untereinander zu untersuchen. Zu Sentaro und Tokue kommt ja noch die Schülerin Wakana, die so gerne bei ihnen isst. So finden drei Generationen, die im normalen Stadtleben kaum Berührungspunkte haben, auf engstem Raum zusammen.

SPIEGEL ONLINE: Ihre drei Hauptfiguren erleben auf jeweils eigene Weise Ausgrenzung, die Geschichte von Tokue erzählt zudem von einem historischen Unrecht, das Kranken in Japan widerfahren ist. Trotzdem wirkt Ihr Film sehr beiläufig und reduziert. Wie haben Sie es geschafft, Geschichte und Bilder nicht zu überfrachten?

Kawase: Ich bin eher wie bei meinen Dokumentarfilmen vorgegangen: Ich wollte keine Metaphern oder versteckte Botschaften in die Bilder legen, sondern die Leben der drei Hauptfiguren möglichst unverstellt zeigen - einfach, weil ich sie interessant genug fand. Zum Beispiel zeige ich immer wieder Kirschblüten, ohne dass die Bilder für etwas Zweites stehen. Vielmehr möchte ich herausarbeiten, dass die Blüten an sich schon eindrucksvoll genug sind und ein Bild rechtfertigen. Ich wollte die Dinge so pur wie möglich abbilden. Deshalb habe ich übrigens auch chronologisch gedreht - um einzufangen, wie sich das Verhältnis zwischen den Darstellern entwickelt. In vielen Szenen lasse ich die Darsteller einfach zusammen den Ort erleben, etwa bei der Zubereitung der Pfannkuchen. Es sollte sich möglichst wenig nach Dreharbeiten, sondern nach einer eigenen Realität anfühlen.

Kirschblüten und rote Bohnen von Naomi Kawase: Was drei Generationen verbindet (2)

Fotostrecke

"Still the Water": Schwimm mit mir, schlaf mit mir

Foto: Japanese Film Partners, Comme de

SPIEGEL ONLINE: Was verändert sich, wenn man chronologisch dreht?

Kawase: Ich kenne es gar nicht anders als chronologisch zu drehen, bislang sind alle meine Filme so entstanden. Im echten Leben gibt es ja auch immer ein Gestern, Heute und Morgen. Ich glaube, Schauspieler können wahrhaftiger agieren, wenn sie die Geschichte wie im echten Leben schrittweise durchleben. Dieses Vorgehen holt meiner Erfahrung nach sehr viel aus den Schauspielern heraus - oft mehr, als ich es jemals erwartet hätte.

SPIEGEL ONLINE: In Ihren Filmen spielen ältere Frauen oft eine wichtige Rolle. Glauben Sie, dass sich Weisheit auch erst im Verlauf des Lebens ansammelt?

Kawase: In meinen Filmen haben die älteren Frauenfiguren die Funktion, bestimmte Erkenntnisse und Erfahrungen, die man nur mit dem Alter machen kann, in die Geschichten einfließen zu lassen. Und es stimmt ja auch: Wenn ich an die Zeit zurück denke, in der ich jung war, fällt mir auf, wie naiv und unwissend ich damals war. Gleichzeitig hatte ich aber auch viel Energie und bin jeden Tag mit neuer Kraft angegangen. Das ist wiederum das Privileg der Jugend.

SPIEGEL ONLINE: Kritiker haben "Kirschblüten und rote Bohnen" Ihren bislang japanischsten Film genannt, und tatsächlich war der Film in Ihrer Heimat sehr erfolgreich. Haben Sie speziell für das japanische Publikum gedreht?

Kawase: Nein, aber ich habe zum Beispiel bei der Musik darauf geachtet, dass sie anders auf den asiatischen Markt als auf den europäischen zugeschnitten ist. In Japan singt ein aktuell sehr beliebter japanischer Popsänger den Titelsong, der kommt auch in Ländern wie Korea oder Taiwan gut an. In Europa läuft der Film dagegen mit einer Instrumentalversion des Songs, da hier die japanischen Texte womöglich irritiert hätten.

SPIEGEL ONLINE: Kümmern Sie sich immer so detailliert um die Vermarktung Ihrer Filme?

Kawase: Ja, schließlich habe ich auch schon als Produzentin gearbeitet. Wenn ich einen Filme plane, denke ich nicht nur auf der künstlerischen Ebene darüber nach, wie er werden soll, sondern auch, mit wem ich ihn umsetzen soll und für welchen Markt und welches Publikum ich ihn mache.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Filme sind in der Regel internationale Ko-Produktionen, für die die Finanzierung sehr kompliziert ist. Sie haben schon vor Jahren einen Film durch Crowdfunding finanziert. Wie kam es dazu?

Kawase: In Japan ist es tatsächlich schwierig, genug Geld für einen Film zusammenzubekommen - meine Filme gelten dort außerdem als zu anspruchsvoll. Daran haben auch die Preise in Cannes nichts geändert, danach hieß es eher: "Das ist doch eher Ansichtssache der Franzosen." Deswegen habe ich aber nicht Crowdfunding ausprobiert. Es war vielmehr so, dass ich damals ein kleines Kind hatte und mich um meine kranken Pflegeeltern in der Provinz Nara kümmern wollte. Gleichzeitig hatte ich ein Filmprojekt im Kopf, das ich unbedingt umsetzen wollte. Doch mein Produzent war in Tokio, mit dem konnte ich mich nicht wie gewohnt mit voller Kraft in den Finanzierungsprozess stürzen. Deshalb kam ich auf die Idee, das Geld selber und in meinem eigenen Tempo einzusammeln.

SPIEGEL ONLINE: Würden Sie anderen Filmemachern Crowdfunding empfehlen?

Kawase: Es ist ja nicht so, dass das Geld nach und nach eintrudelt, ohne dass man etwas tun muss. Bei Crowdfunding muss man sehr aktiv sein und dauernd Werbung für sein Projekt machen. In meiner damaligen Situation, fernab der Strukturen der Filmbranche, war dieses Vorgehen durchaus sinnvoll, da ich viel übers Internet erledigen konnte. Gleichzeitig bläst Crowdfunding die Zahl der Mitwirkenden an einem Film wahnsinnig auf. Ich musste zum Beispiel einen ewig langen Abspann bauen, da jeder einzelne Spender genannt werden musste. Letztlich ist man auch bei Crowdfunding auf die Hilfe anderer angewiesen und gar nicht so eigenständig, wie man denkt. Jetzt, wo mein Kind älter ist und meine Pflegeeltern gestorben sind, muss ich sagen: Der reguläre Finanzierungsprozess, bei dem ich mit meinem Produzenten herumreise und persönlich Gespräche führe, ist meiner Erfahrung nach effektiver.

Im Video: Der Trailer zu "Kirschblüten und rote Bohnen"

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Author: Zonia Mosciski DO

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